Kürzlich hatte ich einen eher ruhigen Menschen in einem Coaching. Man habe ihm eine Führungsfunktion angetragen, so der Klient. „Das ist aber nichts für mich“, so der junge Mann, „ich bin eher zurückhaltend, mag mich nicht vor Menschen produzieren. Außerdem bin ich gerne fachlich unterwegs.“ Er ist intelligent, tiefsinnig, ernsthaft, ruhig, gehaltvoll und im besten Sinne bodenständig. Und er besitzt eine gute Portion gesunden Menschenverstand.

Coaching Ergebnis: Führen nicht mein Ding

„Ja, gefreut hat mich das schon, dass man mich gefragt hat“, ein bisschen Stolz schwingt in seiner Stimme mit, „aber wie die Leitung auf mich kommt, ist mir ein Rätsel. Ich denke schon, dass ich gut bin in meinem Job. Aber als Führungskraft müsste ich mich um die Leute kümmern, Konflikte lösen, Aufträge heranholen, Repräsentieren, am Ende noch Präsentieren oder wie andere an Hochschulen Vorlesungen geben und Kunden bei der Stange halten. Zu dem, was ich gerne mache, komme ich dann kaum noch.“

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Coaching und GMV

Der Mann kennt seine Vorlieben und hat eine klare Haltung zu dem, was er möchte. Er nimmt sich ernst und er kennt sich gut. Darin steckt viel gesunder Menschenverstand. Dementsprechend fällt er eine eindeutige Entscheidung. Er wählt die Arbeit, die er gerne macht, und lässt die Tätigkeiten, die er nicht mag oder meint nicht zu können. Er lehnt die Führungsposition ab. Er wäre wahrscheinlich eine gute Führungskraft geworden.

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Überraschende Ergebnisse im Coaching

Paradox? Ja. Denn zu guter Führung gehört gute Selbstführung. Dazu wiederum gehört neben Selbstmotivation, Zielsetzung und Balance, dass man sich seiner Selbst bewusst ist und Entscheidungen trifft, die den eigenen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Oder wie es ein Abteilungsleiter einmal in einem Coaching ausgedrückt hat: „Als Vertriebler war ich gut und glücklich, jetzt bin ich Vertriebschef, bin Durchschnitt und depressiv.“

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Coaching als Chef-Check

Ein anderer Klient, eine hochqualifizierte Fachkraft, der auf dem Sprung zur Führungskraft ist, nutzt das Coaching, um sich nochmals klar darüber zu werden, ob er überhaupt Chef werden will. Sinngemäß: „Ich mag meine Arbeit und ich bin gut in dem, was ich tue. Wenn ich jetzt vor allem an mich und über mich nachdenke, dann möchte ich den Posten gar nicht annehmen. Kaum finanzieller Anreiz, dafür 30 Prozent mehr Arbeit, Themen, die mich nicht interessieren und Budgetverantwortung. Meine jetzigen Kollegen müsste ich dann kontrollieren und zu Leistung antreiben und zusätzlich Projekte abarbeiten. Außerdem haben wir im Unternehmen kein Führungskonzept. Das darf ich mir alles selbst zurechtschneidern. So wie mein jetziger Chef möchte ich das nicht machen.“

Auch ein Ergebnis: Demotivation durch fehlende Struktur und negatives Vorbild. Dem Klienten ist im Coaching jedenfalls klar geworden, was Führen in seinem Unternehmen bedeutet und ist. Und wie er selbst dazu steht. Coaching also auch hier: Hilfe zur Selbsthilfe.

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Aus: Zirbik: Führen mit GMV – mit gesundem Menschenverstand sicher und souverän führen, Friendship Verlag, erscheint Mitte 2016

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