Eine unglaubliche Geschichte habe ich vor vielen Jahren (wirklich lange her) selbst erlebt und nicht mehr vergessen. Ich konnte auf der Straße die Power von Manipulation, Rhetorik und Überzeugen am eigenen Leib erfahren. Im Laufe der Jahre habe ich erfahren wie gut das in Führungskommunikation und Business funktioniert. Ich bin heute noch von den Socken…

Eine unglaubliche Geschichte cleverer Manipulation

Vor vielen Jahren. Meine Familie und ich sind in Straßburg. Eine schöne Stadt. Wir stehen vor dem Straßburger Dom. Unsere Kinder sind zwei und vier Jahre alt. Da kommt ein Farbiger auf uns zu. Ich schätze ihn auf Mitte zwanzig, wahrscheinlich Afrikaner, schlank, drahtig, bunt angezogen, eine große Stofftasche umgehängt, leicht schlampig, strahlend weiße Zähne – er lächelt unentwegt. Mein Körper strafft sich. Ich nehme innerlich Hab-Acht-Position ein.

„Sie kommen aus Deutschland“?

Ich reagiere kurz angebunden. Ich ahne, was nun kommt. Meine Stirn legt sich in Falten und schiebe mein Kinn vor. Mein Gedanke: „Lass uns in Ruhe“. Meine Antwort:

„Ja.“

Der Mann lächelt und legt seine Hand auf meinen Oberarm. Ich schiebe meine Schulter nach vorne wie ein Boxer. „Woher kommen Sie genau?“ legt der farbige Mitzwanziger nach.

„Aus der Nähe von Ba … “, ich will den Ort dann doch nicht verraten. Natürliches Misstrauen, „… von Nürnberg“.

Gedankenkarussell: „Nürnberg ist irgendwie immer noch zu nah an meinem wahren Wohnort dran“. Heute weiß ich, dass der Farbige das alles sehr wohl registriert und sehr souverän ignoriert – wie wahrscheinlich schon hunderte Male vorher. Viel Übung also. (Rhetorik und Überzeugung kann man lernen!)

Ähnlichkeit macht sympathisch

„Ah! Nürnberg!“, begeistert sich der Typ. „Dolle Stadt – ich habe da studiert. Meine Schwester ist gerade da und startet mit Ihrem Wirtschaftsstudium.“ (Pause – strahlt mich an – Lächeln und Pausen sind wirkungsvolle rhetorische Mittel)

Ich bin etwas ruhiger, mein Gesicht entspannt sich. „Aha, Akademiker“, denke ich, „kennt Nürnberg (nein, ich habe keine Vorurteile!). Seine Schwester ist dort. Studiert auch, … (intensiver innerer Dialog).“

„Vielleicht können Sie mir helfen“, baggert der Mann mich an, sieht mir offen in die Augen und lächelt. (Sehr weiße Zähne! Freundlichkeit und Lächeln kann man sich schwer entziehen und es wirkt unterbewusst – wir reagieren besonders stark auf Lachen, Gähnen, Kopfnicken – das gilt auch für Reden, Vorträge und Präsentationen – also für Publikums-Kommunikation)

Gedanken: „Aha, jetzt kommt doch die Bettelnummer. Nicht mit mir.“ Ich bin gewappnet.

Fuß-in-die-Tür-Technik – wirklich eine unglaubliche Geschichte

Er: „Ich muss zu meiner Schwester fahren. Wann fahren Sie denn zurück nach Nürnberg – vielleicht können Sie mich mitnehmen?“

Mir bleibt die Luft weg – mein Mund ist und bliebt halb geöffnet. Der Typ will kein Geld. Er möchte mit uns nach Nürnberg fahren. Stundenlang, mit mir, meiner Frau, unseren zwei Kindern … Nieeeemals! „Das geht leider nicht (das leider ist gelogen), unser Wagen ist voll. Wir haben gar keinen Platz“. Das stimmt sogar und damit sind wir gerettet. Puh.

„Schade, na, ich werde es schon irgendwie hinbekommen“, verabschiedet sich der wirklich nette junge Mann aus dem schönen Afrika (ich schalte befreit um – keine Bedrohung mehr und drücke ihm innerlich die Daumen). Der Farbige lächelt immer noch, obwohl er erfolglos geblieben war.

Der Columbo-Effekt: Stress – Entspannung – Überraschung

Er geht ein paar Schritte von uns weg, hält kurz an, kommt zurück, geht auf Sebastian zu. Er drückt ihm einen „goldenen“ Ring in die Hand. „So ein schönes Kind“, lobhudelt der Mann (meine Frau bekommt ein seltsames Glänzen in die Augen), „ein kleines Geschenk für dich.“ Sebastian strahlt, meine Frau mit ihm um die Wette und ich kann nur verlegen lächeln. (Wirklich nett, der Typ, oder? Das ist der „Columbo-Effekt“: Weggehen ist gleich entspannen. Da fallen Aufmerksamkeit und Konzentration in sich zusammen. Der Schutzwall ist geschwächt)

Ein unglaubliche Geschichte mit Lerneffekt

Jetzt geht er endgültig … nein, er dreht nochmals um, kommt zu mir. Dabei erinnert er mich schon wieder an Columbo, den Schmuddel-Kommissar (Schauspieler Peter Falk) aus den 1970ern, Sie erinnern sich? Der verabschiedete sich nach einer längeren und nervigen Befragung eines Verdächtigen, blieb kurz vor der Tür stehen, hob den Arm (die „eingefrorene Geste“ sorgt für Überraschung), drehte sich mit der Bemerkung „eine kurze Frage hätte ich da noch“ um und erfuhr dann erst Entscheidendes. Tja, so funktioniert das, weil der Befragte sich schon entspannte und nicht mehr so konzentriert war.

Mein farbiger „Freund“ kommt also zurück, lächelt Sebastian an, winkt ihm zu, Sebastian winkt zurück – glückliches Lächeln (der Ring). Dann spricht mich der Farbige mit Engelszungen an. „Sie haben wirklich eine ganz großartige Familie. Schade, dass Sie mich nicht mitnehmen können. (Pause – mein Gewissen schleicht sich von hinten an) Vielleicht können Sie mir mit 20 Mark für eine Bahnkarte aushelfen. Hier ist die Adresse meiner Schwester in Nürnberg. Ich gebe Ihnen das Geld später zurück.“ (Treuer Blick, Sebastian voller Freude mit dem Ring …)

Die erstaunliche Wirkung rhetorischer Mittel

Fazit: Ich bin 20 Mark los. Denke fünf Minuten später „was war jetzt das?“, meine Frau erklärt mich, immer noch lächelnd wegen des glücklichen Sebastian mit dem Ring (aus einem Kaugummiautomaten, wie sich herausstellt), für verrückt. (Ich habe nie nach der Straße und der Schwester in Nürnberg gesucht)

Psychologische Phänomene des Überzeugens

In dieser Geschichte, sie ist so ähnlich passiert, stecken viele „Überzeugungsfaktoren“. Vom Herstellen der Ähnlichkeit (in Nürnberg studiert), über das Kontrastprinzip und die Fuß-in-die-Tür-Technik „Hohe Forderung (mitfahren) – im Verhältnis kleine Forderung (20 Mark)“, bis zum Reziprozitätsprinzip (Das Geschenk an Sebastian – seine leuchtenden Augen). Der Mann hat das gezielt eingesetzt – heute weiß ich das – gelernt hatte er das wahrscheinlich von seinem Großvater, seinem Vater, Cousin oder dem Bandenchef – reine Mutmaßungen. Menschen, die auf das Wohlwollen anderer angewiesen sind, arbeiten mit Erfahrung. Mit Methoden, die seit ewigen Zeiten so funktionieren, also mit viel gesundem Menschenverstand – GMV. Betrüger und Zauberkünstler tun das übrigens auch.

Was wirklich hinter den äußerst zielgerichteten und cleveren Verhalten des Farbigen in „eine unglaubliche Geschichte“ steckt, kann der Mann aus Afrika wahrscheinlich nicht erklären. Wozu auch. Er hatte es „drauf“ und ergatterte 20 Mark.

Psychologische Phänomene und rhetorische Mittel sind im Alltag äußerst tauglich – für Mitarbeiter- und Verkaufsgespräche oder Vorträge sind sie Gold wert.

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